Donnerstag, 9. März 2023

«Viele, die es selbst versuchen, regen sich auf»

Die Mehrwertsteuer gehört zu den wichtigsten Einnahmequellen des Bundes. Das macht sie nicht beliebter, doch für Angelina Sulzer ist sie eine Leidenschaft. Die Mehrwertsteuerexpertin, Betriebswirtschafterin, diplomierte Buchhalterin und Steuerberaterin arbeitet seit Januar 2023 bei der Gastroconsult AG als Leiterin MwSt. und hat auf jede Frage zur Steuer eine Antwort.

Angelina Sulzer, die Mehrwertsteuer ist unbeliebt und komplex: Wer hat davon eigentlich einen Mehrwert?

Angelina Sulzer: Wir alle! Es ist die sozialste Steuer von allen. Die AHV wird damit finanziert, die Infrastruktur oder auch das Gesundheits- und Ausbildungswesen. Ohne Mehrwertsteuer ginge der Staat Konkurs, oder wir hätten Stammeszustände. 

Und welche Rolle spielt da das Gastgewerbe?

Durch die Pandemie-Lockdowns hat sich herauskristallisiert, dass die Gastrobetriebe für uns sehr viel wichtiger sind als vermutet. Der Stammtisch, wo Menschen langjährige Freundschaften vertiefen, die Servicekraft, die uns den Kaffee mit einem Lächeln serviert, geben uns ein Gefühl von Anerkennung. Die Gastrobetriebe sind ein Bestandteil für den Erhalt unserer geistigen Gesundheit. 2014 lancierte GastroSuisse eine Initiative, die Mehrwertsteuer für Gastrobetriebe auf 2,5 Prozent zu senken, zwecks mehr Wettbewerbsfähigkeit. Sie wurde abgelehnt. Es ist Zeit, dies nochmals anzugehen. Denn dieser Mehrwert, den die Gastrounternehmen der Gesellschaft für die geistige Gesundheit jeden Tag geben, gehört zu unserem Leben. Wie die Lebensmittel, die zu 2,5 Prozent abgerechnet werden. Es gibt physisches und geistiges Leben. Der Mensch braucht beides!

Fehlen dann nicht Gelder für alle?

Selbstverständlich. Das müssen wir uns leisten können. Unterstützen wir die geistige Gesundheit, entlasten wir das Gesundheitswesen, weil es weniger Besuche beim Psychologen und beim Psychiater gibt.

Für viele Gastronomen sind die diversen Mehrwertsteuersätze – Normalsatz 7,7 Prozent, Sondersatz für Beherbergung 3,7 Prozent und reduzierter Steuersatz 2,5 Prozent – verwirrend.

Grundsätzlich zahlen Gastrobetriebe 7,7 Prozent. Während Corona haben etliche Restaurants ihre Tätigkeit mit Takeaway erweitert, dort beträgt der Mehrwertsteuersatz 2,5 Prozent. Was gehört nun wohin? Es ist sehr komplex geworden, die meisten brauchen eine Beratung.

In den Hotels ist es nicht einfacher …

Nein. Für einige Leistungen gilt der Sondersatz für Beherbergung, für andere der Normalsatz. Sehr komplex ist es bei den Taxen. Die Kurtaxe ist nicht mehrwertsteuerpflichtig. Für die Beherbergungstaxe gelten 3,7 Prozent. Verbindet man diese aber mit einem Cityticket für den ÖV, wird die Beherbergungstaxe zu 7,7Prozent verrechnet. Das wissen viele nicht!

Was sind die häufigsten Fehler, und wie lassen sie sich vermeiden?

Alles nach verschiedenen Mehrwertsteuersätzen Abzurechnende ist sauber zu trennen: von den Reservierungs- und Buchungsprogrammen bis zur Rechnungsstellung. Sind die diversen Taxen auf der Rechnung gebündelt ausgewiesen, wird die Kurtaxe nicht mehr zu 0 Prozent verrechnet, sondern zu 7,7 Prozent! Vorsicht auch in der Buchhaltung: Damit die Kurtaxe bei 0 Prozent bleibt, muss sie als Durchlaufposten erfasst werden.

Was ist das Allerwichtigste, das es bei der Mehrwertsteuer zu beachten gilt?

Dass die Mehrwertsteuer, die auf den Rechnungen ausgewiesen ist, auch geschuldet ist. Gibt der Gastronom bei seinem Take-away statt 2,5 Prozent aus Versehen 7,7 Prozent an, sind diese auch
geschuldet. Es sei denn, man korrigiert den Fehler rechtzeitig durch eine Gutschrift vor Ende des Geschäftsjahres. 

Ein Tipp zur Mehrwertsteuer-Abrechnung, den niemand kennt?

Zwar kein Tipp, aber ich glaube, alle erwarten voller Freude die Vereinfachung, die mit der Teilrevision der Mehrwertsteuer für 2025 vorgesehen ist. Diese wird viel administrativen Aufwand einsparen und die Fehlerquote senken –was unter dem Strich zu einer Kostensenkung und zu einer besseren Effektivität führen wird.

Sie gehen direkt in die Betriebe und beraten vor Ort. Was erleben Sie da?

Die Leute sind verunsichert, denn sie wollen die Mehrwertsteuer nach bestem Wissen und Gewissen abrechnen, möchten es aber möglichst günstig halten und versuchen es deswegen oft
selbst. 

Man könnte die Mehrwertsteuer-Abrechnung auch mithilfe eines OnlineProgramms erledigen oder die Spezialistin beiziehen. Was wird oft genutzt?

Viele, die es erst selbst versuchen, regen sich bald auf, fragen die Kollegen links und rechts, irgendwann kommt es zu einer kollektiven Genervtheit. Fast allen fehlt gerade jetzt die Zeit dafür, weil das Tagesgeschäft mit zu wenig Mitarbeitenden gestemmt werden muss. Dann wird eine Beratung nötig, wenigstens für das Aufgleisen des Online-Programms.

Es gibt zwei Abrechnungsmöglichkeiten: die effektive Abrechnung und die Saldosteuersatzmethode. Womit fährt man besser?

Die meisten sind aufgrund der Komplexität der Mehrwertsteuersätze verängstigt und bevorzugen deswegen die Saldo steuersatzmethode. Später oder zu spät erkennen sie, dass diese sehr unflexibel ist. Ich rate immer zur effektiven Abrechnung, dann sind den Unternehmensvisionen keine Grenzen gesetzt. 

Die meisten zucken beim Wort «Mehrwertsteuer» zusammen oder verdrehen die Augen. Was fasziniert Sie daran?

Die Mehrwertsteuer ist meine Leidenschaft und täglich eine geistig spannende Herausforderung. Zudem ist sie die beweglichste aller Steuern und eine des Einzelfalls, man kann nie den Fall A auf den Fall B anwenden. Und sie begleitet ein Unternehmen von der Entstehung bis zum Ende. Kürzlich hat ein Kunde tagelang über Diagrammen zur Organisation seines neuen Hotelbetriebs gebrütet – mit vielen offenen Fragen. Nach einem halbstündigen Gespräch mit mir seufzte er erleichtert: «Hätte ich Sie nur vorher angerufen!» Es freut mich, jemandem zu helfen, seinen Traum zu erfüllen.

Interview und Fotocredits: Corinne Nusskern 

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