Preisanpassungen sind aufgrund globaler Entwicklungen wie dem Krieg in der Ukraine unausweichlich geworden. Nur: Wie sollen Gastronomen vorgehen?
Ich arbeite an durchschnittlich vier Tagen in der Woche im Büro in St. Gallen. An mindestens drei Tagen davon gehe ich über Mittag in ein Restaurant essen. Danach ist der Akku wieder voll
für den Rest des Arbeitstages. Ich habe ein Lieblingsrestaurant, und zwar aus einer Vielzahl von Gründen: Die Qualität der Küche ist top, die Lage (drinnen wie draussen), das Mittagsmenü wird im Netz publiziert, sodass ich schon im Vorfeld auswählen kann, alle Personen im Service sind freundlich und kennen meine Vorlieben bereits (beispielsweise Salat mit viel Dressing, Zahnstocher auf dem Tisch).
Letztes Jahr haben die Preise bis zu 18 Prozent aufgeschlagen. «Das ist viel», dachte ich mir. Aufgrund meiner Berufserfahrung wusste ich, dass die Preise vor dieser Anpassung zu tief waren. Ich bin seither kein einziges Mal weniger dort Gast gewesen. Und meine Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass viele es mir gleichgetan haben. Auch diejenigen, welche sich enerviert haben. Gleiches konnte ich bei vielen unserer Kunden feststellen. Alle, welche Ich während des zweiten Corona-Lockdowns im 1. Semester 2021 mit teilweise viel Anstrengung überzeugen konnte, ihre zu tiefen Preise bei Wiedereröffnung anzupassen, haben mir Ähnliches berichtet: Die negativen Reaktionen blieben mehrheitlich aus. Und die wenigen, welche sich lautstark beschwerten, sassen nach wenigen Wochen wieder in ihrem Lieblingsrestaurant.
Die Preisgestaltung und vor allem die Preisanpassungen sind in der Gastronomie ein komplexes Thema, das von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Mein Kollege Daniel Hollenstein hat im Dezember 2022 ausführlich über den reinen Zahlenaspekt geschrieben. Die Verhaltenspsychologie spielt ebenso eine nicht zu unterschätzende Rolle, da sie uns hilft zu verstehen, wie Menschen auf Preise reagieren und welche
Faktoren ihr Kaufverhalten beeinflussen können. Die Aussage «Wer schimpft, der kauft» ist eine gängige Redewendung, die besagt, dass Menschen, die sich lautstark beschweren oder kritisieren,
letztlich trotzdem weiterhin die Dienstleistungen oder Produkte eines Unternehmens in Anspruch nehmen.
Ein möglicher Grund dafür könnte die sogenannte «Preis-Wahrnehmung» sein. Menschen neigen dazu, den Wert eines Produkts oder einer Dienstleistung anhand des Preises zu beurteilen. Wenn etwas teuer ist, gehen sie automatisch davon aus, dass es von hoher Qualität oder hoher Wert ist. In der Gastronomie könnte dies bei generellen Preisanpassungen weniger der Fall sein. Der Gastronom könnte eine Überprüfung der Preisgestaltung jedoch auch gleichzeitig zum Anlass nehmen, das Angebot zu überdenken, an geändertes Konsumverhalten anzupassen und allenfalls zu straffen. So wäre ein direkter Vergleich der Preise nicht mehr möglich, und die Anhebung auf den korrekten Marktwert hätte vor dem Hintergrund der Preis-Wahrnehmung vielleicht sogar positive Effekte.
Ein weiterer psychologischer Aspekt ist die sogenannte «Verlustaversion». Menschen zeigen tendenziell eine stärkere emotionale Reaktion auf den Verlust von etwas im Vergleich zum potenziellen Gewinn. In der Gastronomie könnte dies bedeuten, dass Kunden eher bereit sind, höhere Preise zu akzeptieren, um den Verlust des Genusses oder der Erfahrung zu vermeiden, den sie hätten, wenn sie ihr Lieblingsrestaurant verlassen würden, ohne das gewünschte Gericht oder Getränk zu geniessen. Darüber hinaus spielt die Wahrnehmung von Fairness eine Rolle. Wenn Kunden den Eindruck haben, dass die Preise fair und angemessen sind, sind sie eher bereit, sie zu akzeptieren. Hier können Faktoren wie Transparenz bei der Preisgestaltung und die Berücksichtigung von Kundenfeedback eine Rolle spielen.
Klar ist allerdings: Nicht alle Kunden reagieren genau gleich. Es gibt grosse individuelle Unterschiede im Kaufverhalten und in der Reaktion auf Preise. Einige Kunden werden empfindlicher auf Preisänderungen reagieren als andere. Auf dem Land, wo man sich untereinander noch eher persönlich kennt, sind die Reaktionen vordergründig drastischer als in städtischen Gegenden.
Preisanpassungen in der Gastronomie sind in den letzten 15 Monaten aufgrund globaler Entwicklungen wie dem Krieg in der Ukraine unausweichlich
geworden. Die Verhaltenspsychologie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Preiswahrnehmung und die Ankerwirkung sind wichtige Faktoren, die das Kundenverhalten beeinflussen. Das erwähnte Sprichwort «Wer schimpft, der kauft» verdeutlicht, dass Kunden trotz ihrer anfänglichen Unzufriedenheit bei Preisanpassungen weiterhin die Dienstleistungen oder Produkte kaufen werden. Die Gäste werden überzeugt von den Speisevariationen, dem einladenden Ambiente und der gelebten Freundlichkeit des gesamten Teams oder zusammenfassend von der Qualität. Und die gab es noch nie umsonst.
Autor:
Benjamin Schreiber
Dipl. Wirtschaftsprüfer
Standortleiter
Gastroconsult St. Gallen & Chur